INDUSTRIE- UND ENTSORGUNGSWIRTSCHAFT: BASIS DES DEUTSCHEN WOHLSTANDS



Die Industrie hat in Deutschland ein vergleichsweise hohes Gewicht. Dem Charakter als Industrieland sollte die Politik mit einer entsprechend starken industriepolitischen Komponente gerecht werden. Doch das aktuell positive konjunkturelle Umfeld, die gute Haushaltslage, die erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und das hohe Steueraufkommen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den letzten vier Jahren kaum Fortschritte für die Stärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland erzielt wurden.
Was macht die Entsorgungs- und Recyclingbranche in Deutschland aus?
Das Recycling und die Entsorgung von Abfällen ist für die Gesellschaft allgegenwertig: In den knapp 41 Mio. privaten Haushalten (Hausmüll), in Industrie und Gewerbe (Gewebeabfälle), im Einzel- und Großhandel (Verpackungen u.v.m.), in der Gastronomie (Bioabfälle, Fettabscheiderinhalte u.v.m.), in den Kommunen (Parkabfälle, Straßenreinigungsrückstände u.v.m.). Insgesamt werden heute bereits die verschiedensten Stoffe erfolgreich recycelt: Altpapier, Altglas, Leichtverpackungen, sonstige Kunststoffe, Altmetalle (Stahl und NE-Metalle, seltene Erden), Alttextilien und Textilfasern, Altholz, Bioabfälle, Elektroaltgeräte, Batterien, mineralische Abfälle (Bauabfälle, Boden, Schlacken, Gips usw.), etc.



Die Recyclingwirtschaft ist auch besonders stark mit nahezu allen Industriebranchen verflochten. Doch noch viel zu selten landen die recycelten Sekundärprodukte auch direkt wieder in der Produktion von Industrie und Gewerbe. Woran liegt das heute noch? Ein bisher noch viel größerer Rest der Abfälle geht fast ausschließlich zur energetischen Nutzung in andere Branchen und Bereiche: Als Ersatzbrennstoffe oder Biomasse in hochmoderne Energieverwertungsanlagen mit anschließender Strom-, Dampf- und Wärmenutzung in der Industrie (EBS-Kraftwerke) und in den Kommunen (MVA) oder wird als mineralische Abfälle häufig noch ungenutzt auf Deponien entsorgt.
Zudem exportiert Deutschland in Summe einen größeren Teil seiner gesamten Abfälle, als wir Abfälle aus anderen Ländern importieren. Hierfür sind auch die immer noch möglichen billigen Entsorgungs-möglichkeiten auf Deponien in den v.a osteuropäischen Ländern der EU verantwortlich.



Zur Entsorgungswirtschaft zählen in Deutschland rund 1.400 Unternehmen [1], davon sind knapp 400 private Unternehmen [1] der Recyclingwirtschaft zuzurechnen. Die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft gehört damit auch zu den wirtschaftlichen Eckpfeilern des Industriestandorts Deutschland. So vielfältig wie das Dienstleistungsangebot ist auch ihre Unternehmensstruktur: Mehr als 90 Prozent der Recyclingunternehmen sind mittelständisch geprägt. Viele von ihnen besetzen erfolgreich Nischen im Bereich der hochspezialisierten Verfahren zum Recycling von Abfällen und sind damit auch im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig. Im Jahr 2015 erwirtschafteten die privatwirtschaftlichen Unternehmen der Entsorgungsbranche in Deutschland einen Umsatz in Höhe von rund 31,3 Milliarden Euro [1] und beschäftigten mehr als 27.000 Mitarbeiter [1].
Die Entsorgungswirtschaft ist auch ein Innovationstreiber mit hohem Multiplikatoreffekt. Die wirtschaftliche Ausgangslage für die Branche ist derzeit gut. Eine gute Geschäftslage ist aber bei weitem kein Selbstläufer: Seit 2008 gewinnt jedoch die Entsorgungswirtschaft im globalen Vergleich an Wettbewerbsfähigkeit. Um dieses hohe Niveau zu sichern, sind die Unternehmen auf die richtigen politischen Rahmenbedingungen in den nächsten 5 bis 10 Jahren angewiesen.
Nur dann können sie auch in Zukunft innovative und zukunftsfähige Dienstleistungen anbieten und mit Ihren Technologien Sekundärprodukte entwickeln und mit diesen gegenüber der zunehmenden internationalen Konkurrenz zu bestehen.
Was sollte die neue Große Koalition für die Entsorgungswirtschaft tun?
Die beiden Parteien der großen Koalition im 19. Deutschen Bundestag sind aufgefordert, eine kraftvolle und nachhaltige Industriepolitik zu verfolgen, mit der die Zukunftsfähigkeit Deutschlands gesichert werden kann.
Die Politik muss Antworten finden, wie sie Megatrends wie die zunehmende Digitalisierung und Globalisierung oder den wachsenden Protektionismus gestalten will. Und zwar so, dass die Industrie und die Entsorgungswirtschaft die damit verbundenen Herausforderungen erfolgreich bewältigen kann. Dann kann die Entsorgungswirtschaft gemeinsam mit der Industrie die Rolle als zentraler gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Akteur wahrnehmen.
Die Politik sollte dafür sorgen, dass der Industriestandort Deutschland nicht länger von der Substanz lebt und die hohen Standards innerhalb der deutschen Entsorgungswirtschaft noch weiter ausgebaut werden können. Dazu sollte die neue deutsche Bundesregeirung in dieser Legislaturperiode:
- die derzeit günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nutzen, um Investitionsdefizite zu beheben bzw. weitere Investitionsanreize für mehr Ressourcenschonung zu geben,
- ein wirtschaftliches Umfeld schaffen, das Innovationen und Investitionen fördert,
- unnötige bürokratische Hemmnisse abbauen sowie effiziente und rechtssichere Genehmigungsverfahren umsetzen,
- Infrastrukturen zur Verfügung stellen, die modern, wettbewerbsfähig und belastbar sind,
- die Digitalisierung forcieren,
- die international vergleichsweise hohen Energiekosten in Deutschland deckeln,
- die Bildung offener Märkte für (Abfall)Produkte vorantreiben.
Gute Industrie- und Umweltpolitik ist essentiell, damit Deutschlands Unternehmen der Recycling- und Entsorgungsbranche auch künftig mit innovativen Dienstleistungen, Produkten, Technologien und Geschäftsmodellen im nationalen und internationalen Wettbewerb bestehen können. Für die Entsorgungswirtschaft in Deutschland spielen dabei die folgenden Aspekte eine herausragende Rolle:
Klimaschutz – Deutsche Entsorgungswirtschaft als Vorreiter in Europa
Die deutsche Entsorgungswirtschaft leistet einen erheblichen Beitrag zur CO2-Minderung: Mit einem vollständigen Verzicht auf die Deponierung von Siedlungs- und Gewerbeanfällen bereits seit Mitte 2005 und innovativen Verfahren zum Abfallrecycling. Hierin sind wir in Deutschland Europameister und Vorbild für die gesamte europäische Union geworden. Was ist aber darüber hinaus für Europa wichtig:
Europa
Eine gute deutsche Industrie- und Umweltpolitik hat immer die europäische Ebene fest im Blick. EU-Richtlinien sollten 1:1 in nationales Recht umgesetzt werden. Zusätzliche nationale Verschärfungen sollen dabei in erster Linie vermieden werden, um wettbewerbsverzerrende Belastungen und unnötige Bürokratie abzuwenden. Doch zeigt sich gerade in der Abfallpolitik der EU, dass es für die deutsche Recyclingwirtschaft und auch für die Industrie nicht förderlich ist, auf die EU-Mitgliedsländer mit dem größten Beharrungsvermögen Rücksicht nehmen zu müsse. Das Trilog-Ergebnis der EU vom Dezember 2017 zur europäischen Abfallwirtschaft mit v.a. endlos langen Übergangsfristen bis zum Jahr 2040 für die Deponierung von Siedlungsabfällen ist hier leider kein gutes Beispiel für eine fortschrittliche und zukunftsweisende europäische Abfallpolitik.
Innovationen
Es fehlt in Deutschland bereits seit gut einem Jahrzehnt an bahnbrechenden Innovationen, v.a. beim Recycling von Abfällen. Nur mit Hilfe solcher Innovationen kann eine Circular Economy in Deutschland wirklich gelingen. Hier muss die neue Bundesregierung viel mehr Impulse setzen, um ressourcenschonende Verfahren und Umgangsformen in Industrie und Entsorgungswirtschaft auf den Weg zu bringen.
Landwirtschaft
Die Weltbevölkerung wächst bis 2050 auf schätzungsweise zehn Milliarden Menschen, auch in Deutschland geht man von einem Wachstum aus. Um die Bevölkerung möglichst hochwertig zu ernähren, müssen die Landwirte in Deutschland ihre Erträge nachhaltig steigern. Die Entsorgungswirtschaft kann dies mit innovativen Dienstleistungen und Produkten aus der Behandlung von Bioabfällen wesentlich unterstützen – ist dafür allerdings auf neue biobasierte Verfahren (z.B. ökologisch anspruchsvolle Dünger und Bodenverbesserer aus Bioabfällen) angewiesen.
Digitalisierung
Die Entsorgungswirtschaft will digitale Daten als zusätzlichen „Rohstoff“ nutzen, um neue und nachhaltige Geschäftsmodelle zu entwickeln und eine zirkuläre Wirtschaftsweise in allen Industriebranchen in Deutschland zu begleiten oder gar voranzutreiben. Für den Aufbruch in diese neue Epoche „Entsorgung 4.0“ sind ein schneller Breitbandausbau, sichere und geschützte Kommunikationswege sowie Frei- und Experimentierfelder statt eines zu engen Regelungsrahmens unerlässlich.
Verkehrsinfrastruktur
Eine intakte Verkehrsinfrastruktur ist für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands wesentlich. Mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 sind die richtigen Weichen gestellt. Die Projekte müssen nun realisiert werden. Damit aber die Entsorgungswirtschaft Schiene und Wasserstraße noch stärker nutzen kann, sind zusätzliche Knotenpunkte der Verkehrsträger notwendig.
Bürokratie
Deutschland hat die Notwendigkeit des Bürokratieabbaus erkannt und ist wichtige erste Schritte bereits gegangen. Dieser Weg ist gerade aus Sicht der weit überwiegend mittelständischen Unternehmen der Entsorgungswirtschaft konsequent fortzuführen.
[1] Nach Angaben von Statista für das Jahr 2015: Die Angaben beziehen sich auf Unternehmen mit 20 und mehr Beschäftigten.